Bingo!“, ruft eine Frau mit rauchiger Stimme aus der Ecke der urigen Gaststube. Stolz wirbelt ihre Hand in die Luft, darin die Bingo-Karte. Die anderen Besucher fangen an zu grölen, Glücksfee Resi an der Bingo-Trommel zapft ein Freibier für die Gewinnerin. All das könnte sich auch in einer Freiburger Studentenkneipe abspielen. Tut es aber nicht. Das wird spätestens beim Blick aus dem Fenster klar. Zu sehen ist nichts als schneebedeckte Tannen in der Dämmerung.
Willkommen auf dem Michelhof!
Wir befinden uns im tiefsten Schwarzwald, genauer gesagt: Im oberen Linachtal bei Furtwangen auf dem Hof Zum Wilden Michel. Hier gibt es seit 2021 einen Hof, auf dem man sich auch mal ein bisschen danebenbenehmen darf. Einen Ort, wo zur Nachtruhe erst richtig aufgedreht wird, wo auf dem Heuboden Partys steigen und die Kuhweide regelmäßig zur Festivalwiese wird. Kurz gesagt: ein wilder Ort. Genau das ist neuerdings das Konzept auf dem 1650 erstmals urkundlich erwähnten Michelhof.
Wie die Begründer des Michelhofs wohl aus der Wäsche schauen würden, wenn sie wüssten, was knapp 400 Jahre nach ihrer Zeit hier getrieben wird? Der Wilde Michel ist heute Campingplatz, Ferienhof, Gaststube, Kneipe, Dorfdisco und Wohngemeinschaft in einem. Neben Events wie den feuchtfröhlichen Bingo-Abenden (die finden übrigens an jedem dritten Donnerstag im Monat statt) können hier Geburtstage, Hochzeiten und andere Events aller Art gefeiert werden. Vom Heavy Michel Rockfestival über eine winterliche Stubede, Baden im Hot Pot, ein wildes BBQ, Maskenbälle, Techno-Raves, Bastelkurse für Kids bis hin zum Michelaltermarkt ist alles dabei. Mit anderen Worten: ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, verpackt in einen urigen Schwarzwald-Hof.
Dahinter steckt Urs Fischbach gemeinsam mit seiner Frau Ute. Bis Mai 2021 führten sie ein Leben nach Plan: Führungsposition in der Automobilbranche, Häuschen, Kind. Aber die beiden hatten eine Vision: Sie wollten in Zukunft mehr Zeit zusammen verbringen, mehr draußen sein, selbstbestimmter leben. „Unser Ziel war es, einen Ort zu erschaffen, wo Menschen hinkommen können, um zu tun und zu lassen, was sie wollen“, erinnert sich Urs.
Wer sucht, der findet
Also machte er sich auf die Suche nach einer passenden Immobilie. 200 Besichtigungstermine und unzählige Flugblätter später fand er schließlich dank des Tipps eines alten Schulfreunds den alten Michelhof in seinem Heimatort Furtwangen. „Ich bin sehr heimatbezogen und finde das Image vom Schwarzwald einfach cool, vor allem, wie es sich zuletzt entwickelt hat“, sagt Urs, der gebürtig aus der Schweiz stammt. Deshalb war schnell klar: Die Location für sein wildes Projekt kann nirgends anders sein als hier.
Also kündigten Urs und Ute ihre Jobs, verkauften ihr Haus und „michelten“ den Hof ordentlich auf, um es in Urs' Sprache zu sagen. Das historische Gehöft wurde schon früher als Gastwirtschaft, Ferienwohnung und Campingplatz genutzt – nach zehn Jahren wurde er nun wieder aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Das alles machten Urs und Ute allerdings nicht allein, sondern als großes Gemeinschaftsprojekt. Auf den 2100 Quadratmetern Nutzfläche und fünf Etagen haben sie eine Art Wohngemeinschaft gegründet.