Und doch bin ich gestern an einem Schild vorbeigefahren. „Grün-Rot ist des Bauern Tod“ stand da drauf. Das ist schon deutlich …
MB: Ja, und es tut weh, so etwas lesen zu müssen. Aber das ist gerade die Stimmung: Die Grünen sind an allem schuld. Wir sind die, die alles abkriegen, ohne dass reflektiert wird, ob etwas wirklich auf unserem Mist gewachsen ist. Seit ich aus der Stadt aufs Land bin, aus der Apotheke raus und auf den Bauernhof, verfolge ich Agrarpolitik. Das sind jetzt 45 Jahre. Wir sind seit Jahrzehnten in die falsche Richtung unterwegs. Immer ging’s um wachsen oder weichen und immer länger sitzen die Landwirte in ihren Agrarbüros, um ihre Fördergelder zu beantragen, Sanktionen zu vermeiden und der ganzen Bürokratie zu entsprechen. Dabei wären die Landwirte viel lieber bei ihren Tieren oder mit dem Traktor auf dem Feld – und daraus erwächst viel Frust.
Aber auch das spricht doch eher für große Betriebe …
MB: Es ist ein Irrglaube, einfach blind auf Skaleneffekte zu vertrauen. Es stimmt einfach nicht, dass man mit 60 Kühen automatisch doppelt so erfolgreich ist und mehr Gewinn macht als mit 30. Dafür spielen individuelle Faktoren eine viel zu große Rolle.
Du als Politikerin: Kannst du sagen, was in Sachen Agrarpolitik in den vergangenen Jahren gut gelaufen ist?
MB: Aber klar! Ich bin der Meinung, dass es im Bereich des Tierwohls und der Ökologisierung der Landwirtschaft gute Fortschritte gegeben hat. Peu à peu. Denn das ist natürlich auch ein Prozess – aber der läuft.
Haken dran beim Tierwohl – aber was die Ökologisierung angeht: Da brauchen wir übers Ziel nicht streiten, doch der Weg dahin führt über noch mehr Bürokratie und noch mehr Subventionen. Die öffentliche Förderung für konventionelle Betriebe liegt aktuell bei 43 Prozent, für Bio-Betriebe sind es 68 Prozent. Das kann doch auf Dauer nicht gesund sein.
MB: Ist es auch nicht, und deswegen müssen wir über die Erzeugerpreise reden. Denn wir bekommen für unsere Erzeugnisse einfach nicht den Preis, den wir bräuchten. 60 Cent für den Liter Biomilch sind einfach zu wenig …
Zumal an der Supermarktkasse das Dreifache bezahlt werden muss?
MB: Wir haben absolute Rekordpreise im Handel und gleichzeitig sind die Erzeugerpreise im vergangenen Jahr brutal gedrückt worden und zurückgegangen. Das stimmt. Und dann ist es der Staat, die Allgemeinheit, die für dieses Delta einspringen soll. Das kann nicht richtig sein. Wir müssen es schaffen, dass landwirtschaftliche Produkte fair vergütet werden.
Wie siehst du das, Anna?
AK: Es sind nicht nur die Preise an sich, es sind auch die Unsicherheit und die Abhängigkeit. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Milch abgeholt wird. Wir können nicht kalkulieren und einen Preis festlegen – bei uns wird das Produkt abgeholt und dann bekommen wir eine Info, was wir dafür bekommen werden.
Und zu dem System gibt es keine Alternative?
AK: Es gibt immer einen, der es billiger macht. Und wenn es nicht Produkte von hier sind, dann wird eben importiert, und all das, was wir an Standards und Vorgaben erfüllen müssen, spielt dann keine Rolle mehr.
Gibt es von Seiten der Politik eine Idee, dieses Dilemma zu lösen?
MB: Die Lösung habe ich nicht. Aber wir sind dabei und haben mit dem Strategiedialog Landwirtschaft einen Lösungsweg beschritten. Im Kern geht es darum: Wie kriegen wir den Handel dazu, dass er seiner Verantwortung gegenüber seinen Kunden und seinen Lieferanten gerecht wird?
Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe wird sich in den nächsten 20 Jahren mehr als halbieren, sagen Ökonomen. Das Problem: Vor allem kleine Betriebe verschwinden, sie können (oder wollen) die hohen finanziellen Anforderungen und Investitionen nicht erfüllen, die sich aus immer neuen Verordnungen, Richtlinien und Standards ergeben. Vor allem im und rund um den Schwarzwald ist das ein Problem, denn hier gibt es noch sehr viele Nebenerwerbsbetriebe. Dass gerade die Landwirte im Südwesten betriebswirtschaftlich mit der roten Laterne unterwegs sind, passt nicht so recht zum Selbstverständnis von the Länd – ist aber schnell erklärt: Im Norden und Osten sind die Betriebe deutlich größer, und während es Milchbauern und Mastbetrieben wirtschaftlich oft gut geht, sei die wirtschaftliche Situation in Obst- und Weinbetrieben geradezu dramatisch und auch der Ackerbau bereite Sorgen, sagt Joachim Rukwied, der aus Heilbronn stammende Präsident des Deutschen wie des baden-württembergischen Bauernverbands.
Wenn ich mir anschaue, mit welcher Wut im Bauch die Landwirte aktuell protestieren, kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Strategiedialog schon eine Erfolgsgeschichte ist. Gibt es nicht mehr Möglichkeiten, als nur zu reden oder zu protestieren?
MB: Es gibt noch den Paragrafen 148, der Gemeinsamen Marktorganisation. Der besagt, dass Rohmilchlieferungen nur und ausschließlich aufgrund schriftlicher Verträge erfolgen dürfen. Darin können dann auch die Preise festgeschrieben werden, ohne dass dies gegen das Kartellrecht verstößt. Mit Faktoren wie Nachhaltigkeit oder ökologischen Kriterien als Grundlage kann man so einen Wettbewerb schaffen, aber auch einen Preis festlegen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist genau da gerade dran.
Das klingt nach so einer Art garantiertem Milchpreis statt Preiskampf. Würde euch das helfen, Anna?
AK: Wenn der Preis fair ist, dann auf jeden Fall. Denn dann hätten wir mehr Planungssicherheit.
Die es jetzt nicht gibt, erst recht, wenn einen die Politik so überrascht wie in diesem Jahr vor der Grünen Woche. Stimmt es, dass die Agrardieseldebatte nur der letzte Tropfen war, der das Fass der Empörung überlaufen ließ? Diese 21 Cent, die Landwirte von den 47 Cent Dieselsteuer zurückbekommen können – was macht das bei euch auf dem Hof aus?
AK: Etwa 1200 Euro.
Und wie siehst du die Proteste vor diesem Hintergrund? Sind die gerechtfertigt und angemessen?
AK: Was in den vergangenen Wochen abgelaufen ist, war schon ziemlich stark von den Landwirten. Ein paar Aktionen waren übertrieben, ganz klar. Aber wenn man friedlich bleibt und sich einfach zeigt als Landwirt, indem man auch mal mit dem Schlepper eine Straße blockiert, finde ich das völlig legitim. Ich finde: Man kann stolz darauf sein, wie viele da zusammenkamen und einfach gezeigt haben, dass es so nicht weitergeht.