Erdbeeren pflücken: Ein Tag auf dem Obsthof Spinner

Pascal wagt den Feldversuch und geht Erdbeeren pflücken auf dem Obsthof Spinner. Wie ihm die Schafferei wohl schmeckt? 

Text: Pascal Cames · Fotos: Dimitri Dell

Erdbeereis, gezuckerte Erdbeeren, Erdbeeren mit Sahne, Erdbeerschlegsel oder einfach so: Eine nach der anderen, von der Hand in den Mund. So kenne ich die kleinen, süßen Früchte, mit denen die schöne Jahreszeit anfängt. Aber ich weiß, dass es noch eine zweite Wahrheit gibt. Erdbeeren müssen gepflückt werden. Oder wie’s der Badener sagt, einer muss die Ärber zopfe. Heute bin ich dran. Also auf zum Feldversuch auf dem Obsthof Spinner! 

Der Ausnahmezustand des Jahres 

Für die Erdbeeren geht’s früh raus. 4.15 Uhr aufstehen, nach Nußbach (Oberkirch) fahren, dort nimmt mich um kurz vor
6 Uhr ein blendend aufgelegter Karl-Wendelin Spinner in Empfang. Auf seinem Hof wuselt es schon wie auf einem Ameisenhaufen. „Die Ernte ist das Herzstück“, erklärt er den Ausnahmezustand des Jahres. Er hat 15 Hektar Erdbeerfelder, davon sind sechs mit Tunneln. 40 Leute schaffen für ihn, die meisten gehören zur Stammmannschaft, die seit Jahrzehnten zu ihm ins Renchtal kommt. „Es gibt keinen festen Arbeitsbeginn“, sagt der Chef noch. Zum einen liegt’s am Wetter (je heißer, desto früher), zum anderen am Tag. Montags oder dienstags werden weniger Früchte gekauft, ab Mittwoch sind in den Haushalten die Vorräte aufgebraucht und dann wird auch wieder mehr eingekauft. Wichtig ist immer eins: Es muss schnell gehen, denn die Früchte sind empfindlich. „Just in time“, sagt  der Obstbauer und klopft mit der Faust in die leere Hand. Just in time!

Nicht jeder seiner Leute ist ein Pflücker. Es gibt auch Vorarbeiter und Fahrer. Manche übernehmen auch mal die Arbeit eines Kollegen, wenn Not am Mann ist, aber normalerweise hat jeder seinen Platz – und bringt dort sein Bestes. Beispielsweise ist Pavel ein super Fahrer, der auch gut mit den Kunden kann. Er arbeitet penibel die am Vorabend gemachten Pläne Punkt für Punkt ab. Kommt was dazwischen, bringt das Pavel etwas aus dem Konzept. Pavels Zwillingsbruder Rafa ist das Gegenteil, er fährt, wenn’s sein muss, und das Ungeplante schreckt ihn nicht. Das halbe Dutzend Äcker des Obsthofs Spinner liegt rund um Nußbach, aber auch bei Schutterwald. Einige Äcker gehören zum Hof, andere sind gepachtet. Bedingt durch die gängige Erbteilung sind die Flurstücke schmal und lang. Und wer solche „Handtücher“ hat, der ist froh über so rührige Leute wie bei den Spinners. 

Irgendwo nördlich von Appenweier stehen acht Tunnel aufgereiht am Feldweg, hinter dem Weg ist ein großer Anhänger geparkt, voll mit grünen Kisten. Diese werden Steigen genannt, in jeder sind Kartonschalen mit dem Aufdruck „Pflück ein Stück Glück“. Die Sonne kauert noch hinter dem Schwarzwald und es ist frisch. Kaum Wolken. Ich bin dankbar um den Pulli, denn am Buckel wird’s kalt. Schon kommen die ersten Frauen angerannt. Wie im Film laufen ihnen die Vorarbeiter entgegen und nehmen ihnen ihre zwei Steigen ab. Alle lachen. Danach wird eine Nummer gescannt, denn entlohnt wird nach Leistung. 

Mein Arbeitsplatz ist mobil. Ich sitze auf einem Wägelchen, das genau über dem Damm rollt, auf dem die Erdbeeren wachsen. In jedem Tunnel sind acht je 150 Meter lange Dämme. Jeder, der hier schafft, hat seine Dämme. Das hat seinen Grund: Da die Erdbeeren nicht alle gleichzeitig reif werden, lässt man die kleinen grünen noch hängen, andere, die schon etwas Farbe haben, aber erst in zwei Tagen „rot, saftig, süß“ (Karl-Wendelin) sind, ebenso. Alles, was faul ist, was sich wie Gummi anfühlt oder eingedellt ist, muss raus. „Wenn man was Gutes machen will, dann braucht man was Gutes“, lautet die simple Weisheit der Spinners. Wer die Welt kennt, weiß, dass zu oft etwas Gutes aus Schlechtem entstehen soll. Und so soll’s ja nicht sein. Vor allem dann nicht, wenn es schmecken soll. Und wenn es nicht schmeckt, wird es nicht gekauft, und wenn es nicht gekauft wird, haben die Leute keine Arbeit …

Rot, saftig, süss

Karl-Wendelin gehört ins Fach der Überzeugungstäter. „Ich liebe Erdbeeren“, sagt er. Als er den Hof übernahm, gab es neben der Feldwirtschaft noch Kühe und Schweine. Aber sein Herz schlug für „rot, saftig, süß“, und so wurde aus der vielseitig aufgestellten Bauerei ein Obsthof mit Erdbeeren, Äpfeln, Kirschen – und Kürbissen. Seine Eltern haben ihn bei diesem Schritt unterstützt, schließlich hatte er jetzt die Verantwortung. Und es läuft gut, sechs Verkaufsstände hat der Hof, dazu werden Groß- und Supermärkte beliefert. „Wir haben Glück“, sagt er. „Wir haben gute Kunden und gute Mitarbeiter.“ Die guten Kräfte machen sechs Steigen in der Stunde, die Anfänger drei. Ich lasse es langsam angehen und kruschtel im Blattwerk. Aha, da sind ja drei! Aber wie kriege ich sie mit Stielansatz in die Schale? Petr, ein Urgestein, der schon seit 15 oder 20 Jahren (das weiß man gar nicht mehr so genau) dabei ist, zeigt mir, wie’s geht. Man nimmt die Erdbeere sachte mit zwei oder drei Fingern, wo der Stängel von der Frucht abgeht, und macht eine Drehbewegung, als würde man eine Flasche aufdrehen. Locker, schwungvoll, aus dem Handgelenk. Wenn es ideal gemacht wird, gibt es ein Geräusch, das nach Knallerbse klingt. Plopp! Plopp! Plopp! Mal klappt’s, mal klappt’s nicht. Wenn es mir nicht gelingt, habe ich Erdbeeren für den Ausschuss gepflückt. Schlecht fürs Geschäft, aber ich kann sie essen, was mich freut, allerdings bekomme ich langsam ein schlechtes Gewissen.

Nicht jede Erdbeere, die von mir als gut erkannt wird und auch mit den Blättern geerntet wird, ist auch ein Prachtexemplar von Frucht. Petr greift in eine Schale und zeigt mir eine Erdbeere. „Nicht gut“, sagt er und ergänzt: „Gummi!“ Er hat recht. Das Rot ist nicht hell und leuchtend, sondern eher matt und dunkel. Zentimeter um Zentimeter rolle ich mit dem Wagen nach hinten und fülle eine Schale nach der anderen. Wenn ich drei, vier, fünf Früchte geerntet habe und die grünen Blätter noch dran sind, fühle ich mich wie der King of Ärber. Aber schon bei der nächsten Ärber gelingt es mir nicht mehr. Mittlerweile ist mir auch warm geworden.

Speak englisch, gell!

Petr steht immer noch dabei und kommentiert mein Tun mit „nicht gut“ oder „Gummi“. Einmal schreitet er die von mir abgeerntete Reihe ab und kommt mit einer Handvoll Früchte zurück. Die muss ich wohl übersehen haben. Petr kann sich noch an die Zeiten erinnern, als es noch keine Tunnel gab. Wenn es regnete, wurde man vielleicht nicht patschnass (über dem Wagen kann ein Regenschutz montiert werden), aber der Acker wurde schlammig. Außerdem war man der Sonne viel mehr ausgesetzt. An einem Morgen war es mal minus zwei Grad, erinnert sich Karl-Wendelin. „Ich bin die alte Schule“, sagt der Obstbauer. „Früher Mama, Papa, Bruder, Schwester“, zählt er kurz und bündig die Helfer von damals auf. Heute kommen sie meistens aus Rumänien. Mutter und Tochter, Geschwister, und dann gibt es noch Leute, die auf dem Obsthof nicht nur Arbeit finden, sondern auch ihre Liebe fürs Leben. 

 Karl-Wendelin hat es sich zur Gewohnheit gemacht, mit allen Englisch zu reden, weil er nicht immer weiß, wer wie gut Deutsch versteht. Aber ein bisschen Englisch können alle. „Bring the full boxes home, gell“, spricht er ins Handy. Derweil sind schon zig Sprinter vorne vorgefahren, die die Kunden beliefern. Läge es an mir, gäbe es heute einen Erdbeeraufstand in der Ortenau. Ich arbeite genau (bilde ich mir ein), aber langsam. Derweil höre ich die Kollegen an mir vorbeieilen. Jeder stemmt zwei Steigen. „Nur nid dummle“, würde der Elsässer sagen. Aber es muss ja schnell gehen. „Das Produkt bezahlt die Löhne“, zitiert Karl-Wilhelm eine Binsenweisheit. Ohne Ärber kein Cash. 

Als ich schließlich meine erste Steige nach vorne bringe, werde ich mit einem amüsierten Blick empfangen, der „was, so schnell?“ bedeuten könnte. Immerhin habe ich nur wenige zu kleine Erdbeeren gepflückt, die aussortiert werden müssen. Die zweite Steige wird zu leicht, die dritte ist dann in Ordnung. Vom Zeitaufwand sprechen wir jetzt aber nicht und auch nicht von den Rückenschmerzen.  Zwischendurch regnet es heftig und ich bin dankbar für den Tunnel. Im Laufe des Tages wird es immer wärmer und ich verpasse den Zeitpunkt, den Pulli auszuziehen. Während ich wie in der Sauna schwitze, sitzen andere schon mit freiem Oberkörper auf ihrem Wagen. 

Die perfekte Pflückerin

Wie geht’s denn richtig? Maria aus Rumänien ist wohl die Beste von allen. 60 Steigen macht sie am Tag. Aus der Ferne schaut es aus, als wäre ein sitzender Roboter im Kurzschlussmodus am Werk. Die Frau bewegt sich nach vorne und hinten, nach links und nach rechts in einem Tempo, wie man es vom Film kennt, wenn schnell nach vorne gespult wird. Aber hier ist kein Film, hier ist das echte Leben. Aus der Nähe wird mir klar, was sie macht. Sie bewegt ihren rollenden Untersatz mal nach vorne und mal nach hinten. Dadurch kommt Bewegung in die Blätter und so kann sie sehen, was sich darunter verbirgt. Die Erdbeeren holt sie sich aber nicht so schön, wie ich das mache (greifen, halten, drehen – „Mist, schon wieder ohne Blätter!“), sondern es schaut aus, als würde sie mit einem in der Erde verborgenen Monster kämpfen und ihm nach und nach etwas vom Körper reißen. Schnell, gewaltig, effektiv. Das macht sie abwechselnd links und rechts. Dazu fliegt ihr Pferdeschwanz mal nach links oder rechts. Was sie nach oben holt, wird entweder in die Schalen gelegt oder den Ausschuss geworfen oder in eine andere Schale für die kleinen Erdbeeren gelegt. „Pflück ein Stück Glück“, steht auf den Schalen. Glück für die Esser und die Pflücker. Das Produkt bezahlt die Löhne.

Erdbeerhof Spinner

Der Obsthof Spinner ist ein Familienbetrieb im Renchtal und hat 15 Hektar Felder mit Erdbeeren, Kürbissen und Äpfeln. In der Saison arbeiten bis zu 40 Erntehelfer mit. Zum Hof gehören außerdem ein Hofladen in Oberkirch-Nussbach und sechs Verkaufsstände. 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 44 (3/2024)

Endlich ist draußen alles grün und das feiern wir in der neuen Ausgabe – mit neu interpretierten Spargelgerichten, knallroten Erdbeeren und den besten Rezepten für einen echten italienischen Aperitivo auf dem Balkon. Jetzt, wo die Urlaubssaison langsam losgeht, findet ihr bei uns jede Menge Ideen für Ausflüge und Abenteuer im Schwarzwald: vom Microcamping mit dem Camper Van auf außergewöhnlichen Spots über Fußballgolf bis hin zu Freilichtmuseen. Natürlich haben wir auch wieder spannende Persönlichkeiten aus der #heimat wie Zoodirektor Matthias Reinschmidt, den Offenburger Künstler Stefan Strumbel oder Europa-Park Sommelier Vincenzo De Biase für euch getroffen und ausgefragt.

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