Freiheitskämpfe im Hotzenwald: die Salpetererunruhen

Im Freilichtmuseum Klausenhof Herrischried wird jetzt ein Stück Südschwarzwälder Bauerngeschichte wieder lebendig

Text: Pascal Cames · Fotos: Pascal Oertel

Gauner? Verbrecher? Oder doch ein Held? Fest steht, dieser Mann ist auf der Flucht. „Oh, ich glaub’, ich hab’ sie abgehängt“, sagt er und glaubt es doch nicht so richtig. Würde er sich sonst so oft umdrehen? Der Mann mit dem schwarzen Hut klammert sich an eine umgeschmiedete Sense, die jetzt als eine Art langstielige Hacke fungiert – oder ist es doch eine Hellebarde? Eine Waffe? 

Wir schreiben das Jahr 1727 und wir können sicher sein, dass seine Feinde Feuerwaffen haben. Ein Schuss, und es ist vorbei mit dem schönen Leben. Feinde? Das sind die österreichischen Soldaten sowie Schergen des Klosters Sankt Blasien. Der Bauer auf der Flucht hat keine Chance, aber er nutzt sie. Um was geht’s? Um alles! Geringe Steuerlast, Versammlungsfreiheit, direkte Demokratie und sagen dürfen, was man denkt. „Woher chömmet ihr?“, fragt er im Hotzenwälder Alemannisch. „Sin ihr au abghaue?“ 

Wir sind mittendrin in einer historischen Führung auf dem Klausenhof in Herrischried im Südschwarzwald. Viele Südschwarzwälder sind noch vom alten Schlag und zählen sich noch zur untergegangenen Grafschaft Hauenstein. Dieses Hauensteiner Land bestand aus acht Bezirken – Einungen genannt – und war österreichisch. Der Rest der Welt kennt die Gegend als Hotzenwald. Die Bewohner werden manchmal „die Hotzen“ genannt. Je nachdem, mit wem man redet, könnte man glauben, sie gehören noch heute zu Habsburg, also zu Österreich. Und damit fängt das Drama an, das hier der Rentner Gerhard Neugebauer (73) in seiner Rolle als Michael Eckert aufführt. Warum jagen österreichische Soldaten österreichische Bauern? Die Antwort wird in der guten Stube gegeben. Da keine Soldaten im Anmarsch sind, gehen wir mit Michael ins Haus. Aber Achtung, Kopf einziehen! Das alte Haus wurde nicht für Riesen gebaut. 

Leben in Rauch und Freiheit

Das geweißelte Schwarzwaldhaus ist schon mehr als 600 Jahre alt und es ist das letzte seiner Art. Es stand nur ein paar hundert Meter weiter weg und wurde hier, kurz bevor es 1979 ganz zusammenbrach, neu aufgebaut. Heute ist es der Stolz des Freilichtmuseums Klausenhof. Das Bauernhaus ist so eingerichtet, dass ein Hotz aus dem Jahre 1750 sich wie daheim fühlen würde. Aber für einen Zeitgenossen aus dem Jahre 2024 wird’s happig. Es gibt keinen Strom. Darum auch keinen Kühlschrank mit Eiswürfelfunktion. Fürs Kochen muss man anfeuern, fürs Anfeuern Holz hacken, fürs Kleinholz Bäume fällen und versägen. Aber schön heimelig ist es in der guten Stube mit dem Jesusbild im Herrgottswinkel. Die Küche ist rabenschwarz, weil es keinen Kamin gab, dafür wurde Speck geräuchert. Mit dem beißenden Rauch wurde das Haus sauber gehalten. Wo so viel Gift in der Luft ist, lebt kein Ungeziefer mehr. 

Jetzt setzen wir uns auf die Bank und an den Kachelofen in der guten Stube. Der aufmüpfige Buur hat sich für uns fein gemacht. Michael der Revoluzzer trägt jetzt Zylinder, ein weißes Hemd mit spanischem Kragen, darüber eine Jacke und dreiviertellange Hosen. Die Strümpfe sind schneeweiß, die Schuhe auf Glanz poliert. Dies ist die älteste Tracht in Deutschland. Jetzt knurrt ihm der Magen. Beim Speckschneiden berichtet er, was ihn um- und antreibt. Zum einen: der Speck. Dieser muss dünn geschnitten werden. „Fiehn, fiehn“, ruft er. Was fein, fein, also hauchdünn bedeutet. Dann kommt die Sprache aufs Kloster – und es ist vorbei mit der Ruhe. Man könnte sagen, ein Gewitter zieht auf. „Halunken!“, ruft dieser sonst gutmütige Mann. „Fort! Fort!“, bellt er, „denn sie haben den lieben Gott betrogen und Ross und Stier gestohlen.“ Das sind schwere Geschütze! Die Mönche waren not amused.

Direkte Demokratie

Die Sache war die, dass die Bauern „auf dem Wald“ ihre alten Rechte hatten, die für die damalige Zeit ungewöhnlich und fast schon einmalig waren. Die Rechte kamen wahrscheinlich daher, dass sie den Dschungel rodeten, Holz lieferten und Ackerbau betrieben. Und somit Steuern bezahlten. In ihren acht Einungen durften sie ihre Chefs selber wählen, die dann wiederum einen Boss der Bosse, Redmann genannt, wählten. Dieser war der direkte Kontakt zu einem Beamten des Kaisers. Es gab keine Grafen oder sonstige Herren zwischen dem Kaiser und seinen Bauern. Das bedeutet: wenig Steuern. Da die Hauensteiner so gut wie alles selber regelten, könnten wir auch direkte Demokratie dazu sagen. Bundespräsident Gustav Heinemann hat es auch ein paar hundert Jahre später so genannt. Der Kaiser in Wien aber, notorisch klamm wegen der Türkenkriege, verkaufte die Gerichtsbarkeit über die Grafschaft Hauenstein an das Kloster Sankt Blasien, das prompt andere Saiten aufzog. Die Mönche wollten aus den freien Bauern Leibeigene machen. Wer will schon gerne ein Sklave sein? 

Einer stand auf 

Es war ein alter Mann, der nein sagte. Johann „Hans“ Albiez verweigerte den Eid aufs Kloster und kam zu dem Schluss, dass es wohl das Beste sei, mit dem obersten Chef zu sprechen. Dem Kaiser in Wien. Die Leute sammelten für ihn und so machte er sich auf den 800 Kilometer weiten Weg nach Osten. Aber ohne Erfolg. Da Hans von Beruf ein Salpeterer war, wurden die Aufständischen bald Salpeterer gerufen und die Proteste wurden zu Salpetererunruhen. 

Wer waren die Salpeterer? Als im 13. Jahrhundert das Schießpulver erfunden wurde, war das nur die Hälfte der Wahrheit. Denn es muss brennen, bevor’s explodiert. Der Stoff dafür war Salpeter, das dort zu finden ist, wo Harnstoff (Urin) auf Kalk trifft. In Kuhställen zum Beispiel. Die Salpeterer gingen alle paar Jahre von Hof zu Hof und kratzten den Kalksalpeter aus den Ställen, brachen sogar Steine aus den Wänden oder sägten einen Balken ab, sofern sich darin Salpeter befand (allerdings mussten sie alles wieder instandsetzen!). Das Hotzenwälder Kalksalpeter wurde runter nach Waldkirch gebracht und dort in der Pulvermühle chemisch zu Kalisalpeter verarbeitet und dann teuer verkauft an die, die Krieg führten. 

Halten wir fest: Der Kaiser war aus vielen Gründen notorisch pleite, auch weil er dank seiner Hotzenwälder Kriege zur Türkenabwehr und zum Landraub führen konnte. Zum Dank „verkaufte“ er seine Hotzenwälder an das Kloster Sankt Blasien. Das brachte Geld.

Es kam zu mehreren Unruhen, die nichts brachten, außer, dass der arme Hans in Gefangenschaft starb und einige Rädelsführer hingerichtet wurden sowie etliche Familien ihre Heimat in Richtung Banat verlassen mussten. 

Als 1806 der Hotzenwald zum Großherzogtum Baden kam, gab’s wieder Stunk. Jetzt schmeckte den Hotzenwäldern etwas anderes nicht: Die Badener waren evangelisch, die Hotzen nicht. Und die Badener besteuerten die Schnapsbrennerei. Jetzt wären die Südschwarzwälder gerne wieder Österreicher geworden. Aber zu spät. Das Rad der Geschichte hatte sich weitergedreht. Was bleibt, sind ein erstes Aufleuchten von Demokratie und die ewige Frage, die Michael Eckert in seiner Aufführung stellt als es um die Freiheit geht: Was würdest du machen an meiner Stelle?

Heimatmuseum Hotzenwald

In Görwihl wird auf vier Stockwerken das Leben in alter Zeit präsentiert. So gibt es eine Salpetersiederei sowie Werkstätten und ein altes Klassenzimmer zu sehen. Auch viele Trachten werden gezeigt. 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 44 (3/2024)

Endlich ist draußen alles grün und das feiern wir in der neuen Ausgabe – mit neu interpretierten Spargelgerichten, knallroten Erdbeeren und den besten Rezepten für einen echten italienischen Aperitivo auf dem Balkon. Jetzt, wo die Urlaubssaison langsam losgeht, findet ihr bei uns jede Menge Ideen für Ausflüge und Abenteuer im Schwarzwald: vom Microcamping mit dem Camper Van auf außergewöhnlichen Spots über Fußballgolf bis hin zu Freilichtmuseen. Natürlich haben wir auch wieder spannende Persönlichkeiten aus der #heimat wie Zoodirektor Matthias Reinschmidt, den Offenburger Künstler Stefan Strumbel oder Europa-Park Sommelier Vincenzo De Biase für euch getroffen und ausgefragt.

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