Matthias Reinschmidt: das große Interview

Als Zoodirektor in Karlsruhe hat Matthias Reinschmidt schon viel gestemmt. Was er noch alles vor hat? Das erzählt er im Interview 

Text: Pascal Cames

Karlsruhes Zoodirektor Matthias Reinschmidt (59) ist zwar nicht im Zoo geboren, aber er war hier schon als kleiner Bub und staunte über die Löwen, war später Praktikant, putzte als Ferienjobber Gehege und hat hier seine Diplomarbeit geschrieben. Viel mehr geht nicht. Im Interview mit #heimat-Autor Pascal Cames verrät er außerdem, warum er keine Giraffen in Ostafrika fangen wird und was sonst noch anders läuft in einem modernen Zoo. 

Wären Sie als Kind gerne Indiana Jones geworden?

Nein! Ich habe mit sechs Jahren meiner Mutter gesagt: „Ich werde Zoodirektor.“ Und das bin ich geworden.

Wie kommt man da drauf?

Ich liebe Tiere schon immer. Mit sechs habe ich einen Zoo zu Weihnachten bekommen, mit Giraffen und Zebras aus Holz. Natürlich gab es auch Besuche im Karlsruher Zoo. Auch mit sechs habe ich mein erstes Meerschweinchen erhalten und mit acht Wellensittiche gezüchtet. Wie viele andere habe ich Fische im Bach gefangen und Kaulquappen aufgezogen.

Das hört sich romantisch an. Kommen Sie vom Bauernhof?

Nein, ich komme aus Bühl, aus der Fußgängerzone. Die Bühlot fließt nebenan und war mein Revier. Im Elternhaus habe ich das Dachgeschoss ausgebaut mit Volieren für Vögel und Gehege mit Schildkröten. Was man als Kind so alles hat. 

Ich nehme an, Sie wollten studieren?

Meine Eltern wollten, dass ich Abitur mache, und das habe ich an der Lender (Heimschule Lender, Sasbach) gemacht. Dann bin ich zur Bundeswehr.  

Da waren Sie damals die große Ausnahme, oder?

Ganz ehrlich, ich bin zur Bundeswehr, weil ich Zoodirektor werden wollte. In den 80er-Jahren war es so: Wenn du in den Staatsdienst willst, solltest du gedient haben. Aber klar: Lieber hätte ich auf einer Vogelinsel Zivildienst gemacht und Vögel beobachtet. 

Und wie wird man Zoodirektor? 

Da mein Abi nicht das beste war, musste ich ein Jahr warten und habe ein halbes Jahr bei der Firma Bosch Nachtschicht gearbeitet. Danach war ich ein „reicher“ Mann … Da ich noch ein halbes Jahre Wartezeit hatte, schrieb ich den  Karlsruher Zoo an, ob sie nicht Tierpfleger bräuchten.

Naheliegend.

In meiner damaligen Naivität dachte ich, das geht. Aber es ist ein Lehrberuf. Als Ersatz haben sie mir ein Praktikum angeboten im Vogelrevier, Dabei hat sich gezeigt, dass ich über das normale Maß Ahnung davon habe. Vögel waren mein Spezialgebiet.

Und dann haben Sie endlich studiert!

In Tübingen habe ich studiert und alles darauf ausgerichtet, habe wieder ein Praktikum gemacht und den Kontakt nach Karlsruhe gehalten. Damals gab es noch Ferienjobs. Meine Diplomarbeit habe ich hier über Papageien geschrieben. Eine Papageien-Fachzeitschrift aus Bretten bot mir dann eine Stelle als Redakteur an. Fast acht Jahre war ich dort.

Dann waren Sie reif für die Insel?

Mir ist ein bisschen langweilig geworden. Als Redakteur organisierte ich Leserreisen in den Loro Parque auf Teneriffa, weil es dort die meisten Papageien weltweit hat. 4000 bis 5000 Tiere! Irgendwann bekam ich einen Anruf in der Redaktion, weil sie einen Kurator in der Zuchtstation brauchten. So einen Anruf kriegt man nur einmal im Leben.

Kann man sich diesen Park als eine Art Zoo vorstellen?

Ja, er gehört zu den wissenschaftlich geführten Zoos. Das war damals für mich der Weg zurück in die Zoos. Nach meinem Studium gab es keine freien Stellen in den Zoos. Fast
15 Jahre war ich dann auf Teneriffa, bis die Stelle in Karlsruhe ausgeschrieben wurde. 121 Leute haben sich beworben, ich habe den Job bekommen. Es war die richtige Entscheidung für die Stadt und für mich. Eine Win-win-Situation. 

An Selbstbewusstsein mangelt es nicht. 

Deswegen bin ich in der Position, in der ich bin. 

Was hat sich in den vergangenen 40 Jahren verändert?

Ich habe vorhin mein Praktikum erwähnt. 1986 waren auf einer Fläche noch zehn Gehege für Huftiere. Als ich 2015 kam, waren es noch vier für vier verschiedene Arten. Jetzt ist es eine große Savanne mit Gemeinschaftshaltung.

Warum machen Sie das?

So haben die viel mehr Platz. Wir sind mitten in der Stadt und können die Fläche nicht ausweiten, also müssen wir kreativ werden. Von meinen Reisen nach Afrika weiß ich, wie die afrikanischen Huftiere miteinander leben, am Wasserloch oder in der Savanne. Warum sollen wir das nicht hier nachempfinden? Zebras, Giraffen, Antilopen und andere Arten kann man zusammen halten, wenn man jeder Art eine Rückzugsmöglichkeit bietet. 

Können Sie das machen, wie Sie wollen? 

Es gibt Mindestanforderungen für Gehegegrößen. Darum haben wir keine Löwen, es gibt sie aber in Stuttgart und Heidelberg. Wenn Sie Eisbären suchen, die sehen Sie bei uns in einem sehr großen Gehege. Wir haben unseren gesamten Zoo untersucht, einen Masterplan erstellt und Prioritäten gesetzt. Was muss geändert werden? Wo haben wir Nachholbedarf? An diesem Masterplan arbeite ich mich ab, bis ich in die Rente gehe.

Worin unterscheiden Sie sich noch zu früher?

Ein moderner Zoo ist heute ein Artenschutzzentrum, das sich für bedrohte Tiere einsetzt und sie tiergerecht hält. 

Das heißt, Sie züchten Tiere?

Ja, wir holen uns keine Tiere aus der Natur. Mein großes Vorbild, der Zoodirektor von Frankfurt, Bernhard Grzimek (1901–1987), ist selber noch nach Afrika geflogen und hat Zebras gefangen. Wenn ich das heute so machen würde, wäre ich meinen Job los. 

Das waren noch andere Zeiten …

Damals stand die Zucht nicht im Vorder-grund. Es hieß: Wir wollen möglichst viele exotische Tiere zeigen, um die Welt nach Deutschland zu bringen. Das war eine andere Zeit. Heute wollen wir vor allem bedrohten Tierarten eine Heimat bieten. Wir züchten sie und erhalten die Arten in Reservepopulation.

Trotzdem gibt es viel Kritik, weil die Tiere eingesperrt sind.

Es gibt nicht viel Kritik, es gibt Kritik. Wir haben eine Forsa- Umfrage aus dem Jahr 2022 und die besagt, dass 82 Prozent der Deutschen Zoos gut, 6 Prozent sie egal finden und 12 Prozent sie ablehnen. Nur 12 von 100 Prozent. Ist das viel?

Nicht wirklich.

Viele Menschen erkennen, dass sich der Zoo im Wandel befindet. Ich selber wäre ein großer Kritiker, wenn der Zoo noch so wäre wie vor 40 Jahren. Dann würde auch ich sagen, das hat sich überholt und ist nicht mehr zeitgemäß. Jetzt bin ich in der Position, den Zoo weiterzuentwickeln und ihn zeitgemäß, modern und vor allem den Tieren entsprechend zu bauen. Daran lasse ich mich messen.

Ohne die Zoos gäbe es manche Tiere gar nicht mehr?

Wir haben Tierarten hier, die in der Natur ausgestorben sind oder waren. Drei dieser Tierarten haben wir und andere Zoos wieder angesiedelt. Das größte europäische Rind, der Wisent, war ausgerottet. Es gab nur noch 20 Tiere in Zoos. Heute haben wir 6000 Tiere, die in Polen, Rumänien und anderswo ausgewildert wurden. Im Prinzip war der Wisent das Vorbild für fast alle Wiederansiedlungsprojekte. 

Worauf sind Sie noch stolz?

Wir haben die Säbelantilope, Przewalskipferde, zwei Vogelarten, zwei Fischarten … Ich finde das großartig. Wir haben auch eine ausgerottete Schabenart gerettet. (Sein Pressesprecher springt auf und holt eine.) Die haben amerikanische Wissenschaftler entdeckt.

Schaben ziehen kein Publikum, aber Elefanten oder Giraffen.

Elefant, Giraffe und andere große Tiere sehe ich als Botschafter. 2016 haben wir eine Artenschutz-Stiftung gegründet und inzwischen mehr als 3,5 Millionen Euro Einnahmen für unsere Artenschutzprojekte weltweit und vor der Haustür. Wir wollen die Luchse in den Schwarzwald zurückbringen. Das Landwirtschaftsministerium hat mit der forstlichen Versuchsanstalt Freiburg das Projekt der Wiederansiedlung des Luchses gestartet. Wir sind zusammen mit dem WWF und dem Landesjagdverband ein wichtiger Partner. 

Wie wollen Sie Luchse wieder zurückbringen?

Wir werden Luchse züchten, die wir hoffentlich auswildern können. Das ist unsere Vision, dass die Luchse in Baden-Württemberg aus dem Karlsruher Zoo stammen. 

Ich nehme an, Sie haben eine Meinung zum Wolf. 

Den kriegen wir gar nicht mehr los, ob wir wollen oder nicht. Er gehört zu unserer Natur dazu.

Würden Sie auch Bären auswildern?

Dafür sehe ich keine Möglichkeit. Da sind unsere Lebensräume nicht mehr geeignet. In den Alpen vielleicht ja, aber derzeit nicht im Schwarzwald.  

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich komme jeden Morgen um halb acht in mein Büro und die zwei Aras in der Voliere vor dem Fenster begrüßen mich. Oft gehe ich für eine Runde raus in den Zoo, wie es das Tagesgeschäft zulässt.

Idyllisch! 

Nicht immer. Ein Meeting folgt dem anderen. Man hat einen Plan und meistens kommt es anders. Am Abend geht man raus und dann waren wieder ganz andere Dinge wichtig. 

Sie wollten es so?

Ich könnte mir keinen Job vorstellen, bei dem ich acht Stunden sitze. Das geht nicht. Ich bin kein Schreibtischmensch.

Muss denn immer was laufen? 

Ein Zoo, der stehenbleibt, der keine Baustellen hat, ist ganz schnell veraltet. Wir modernisieren und entwickeln uns dauernd weiter. Wir haben 120 Mitarbeiter, das ist eine ganze Menge. Wir haben 5000 Tiere in 26 verschiedenen Arten. Die Dinge sind immer am Laufen, immer im Fluss.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 44 (3/2024)

Endlich ist draußen alles grün und das feiern wir in der neuen Ausgabe – mit neu interpretierten Spargelgerichten, knallroten Erdbeeren und den besten Rezepten für einen echten italienischen Aperitivo auf dem Balkon. Jetzt, wo die Urlaubssaison langsam losgeht, findet ihr bei uns jede Menge Ideen für Ausflüge und Abenteuer im Schwarzwald: vom Microcamping mit dem Camper Van auf außergewöhnlichen Spots über Fußballgolf bis hin zu Freilichtmuseen. Natürlich haben wir auch wieder spannende Persönlichkeiten aus der #heimat wie Zoodirektor Matthias Reinschmidt, den Offenburger Künstler Stefan Strumbel oder Europa-Park Sommelier Vincenzo De Biase für euch getroffen und ausgefragt.

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